Brandstifter gelten in der Öffentlichkeit oft als besessene „Feuerteufel“ mit krankhafter Lust am Zündeln. Doch in Fachkreisen steht die Diagnose Pyromanie zunehmend in der Kritik – weil die meisten Brandstifter ganz andere Motive haben und die vermeintliche Störung in der Praxis kaum eine Rolle spielt.

Wenn irgendwo eine Serie von Bränden um sich greift, ist in Zeitungen schnell vom „Feuerteufel“ die Rede. Kaum ein Delikt entfacht so viel mediales Interesse wie Brandstiftung, dabei machen vorsätzliche Brandlegungen nur einen winzigen Bruchteil aller Straftaten aus (in Deutschland etwa 0,15%). Die Vorstellung eines unheimlichen Pyromanen, der scheinbar grundlos Feuer legt, übt auf Öffentlichkeit und Medien eine eigenartige Faszination aus. Doch wie real ist dieses Bild vom Feuer-süchtigen Brandstifter wirklich? Fachleute sind skeptisch.

Die Idee, dass zwanghafte Feuerlust eine psychische Störung sei, reicht weit zurück. Bereits im 19. Jahrhundert tauchte in der Psychiatrie das Konzept der pathologischen Brandstiftung auf. Als Pyromanie wurde schließlich ein Krankheitsbild definiert, bei dem jemand immer wieder ohne erkennbares Motiv Feuer legt – getrieben von innerem Zwang und einer besonderen Fixierung auf das Lodern der Flammen. Klassischerweise verspüren solche Täter vor der Tat enorme innere Anspannung und Aufregung, die sich nach dem Legen des Feuers in Erleichterung oder Befriedigung auflöst. In den medizinischen Diagnoseklassifikationen gilt Pyromanie bis heute als Impulskontrollstörung, analog etwa zur Kleptomanie (zwanghaftes Stehlen). Sowohl die alte ICD‑10 als auch die neue ICD‑11 der WHO (Weltgesundheitsorganisation) führen die Pyromanie als eigenständige Störung – das diagnostische Kernmerkmal bleibt die scheinbare Motivlosigkeit der Brandstiftung.

Allerdings: Schon die offiziellen Diagnosekriterien schließen praktisch jeden realen Fall fast automatisch von der reinen Pyromanie aus. Ausgeschlossen wird diese Diagnose nämlich, sobald irgendein nachvollziehbares Motiv oder eine andere psychische Störung im Spiel ist. Liegt etwa ein finanzielles Interesse (Versicherungsbetrug), Rache, Wut oder politischer Fanatismus hinter der Tat, ist es per Definition keine Pyromanie. Auch wenn der Täter unter einer anderen psychischen Erkrankung leidet, beispielsweise einer Schizophrenie, einer affektiven Störung (etwa Manie oder Depression) oder einer schweren Persönlichkeitsstörung, soll nicht von Pyromanie gesprochen werden. Selbst akute Alkohol- oder Drogenintoxikation, Intelligenzminderung oder jugendliche Verhaltensstörungen gelten als Ausschlusskriterien. Kurz gesagt: Nur wer „grundlos“ zündelt und ansonsten psychisch gesund ist, passt überhaupt in das schmale Raster der Pyromanie. Kein Wunder also, dass echte Pyromanen extrem selten sind. In der klinischen Praxis wird diese Diagnose so gut wie nie gestellt, die meisten Brandstifter erfüllen eben eines der zahlreichen Ausschlusskriterien, weil sie entweder normale Motive haben oder an anderen Störungen leiden. Entsprechend gibt es bis heute keine belastbaren Daten zur Verbreitung echter Pyromanie. Schätzungen variieren wild zwischen unter 1% und bis zu 20% unter bestimmten Tätergruppen, was die Unsicherheit zeigt. Auch gezielte Therapien gibt es nicht, mangels klar umrissener Patientengruppe. Behandlungsversuche setzen daher meist bei anderen Problemen an, etwa bei Sucht, Aggression oder sozialen Defiziten.

Wut, Frust, Geltungsdrang: Warum Menschen wirklich Brände legen

Wenn die wissenschaftliche Literatur etwas klar belegt, dann dies: Die allerwenigsten Brandstifter handeln aus einer „Lust am Feuer“ im Sinne einer Pyromanie. Stattdessen spielen ganz andere Motive die Hauptrolle. „Frust und fehlende Wertschätzung treiben die meisten Brandstifter an“, bringt es der Psychologe Joachim Retzbach auf den Punkt. Häufig stecken Enttäuschung, Ärger oder Rachegelüste hinter einer Tat. Etwa wenn jemand aus Wut über persönliche Kränkungen Feuer legt. Auch Aufmerksamkeitssuche und Hilferufe sind bekannt: Manche verzweifelte Täter wollen mit dem Brand auf ihre eigenen Probleme aufmerksam machen. Andere agieren aus schierer Langeweile oder Vandalismus. Und nicht zu vergessen: Viele Feuer werden ganz zweckgerichtet gelegt, zur Vertuschung eines Verbrechens, zur Einschüchterung, aus Versicherungsbetrug oder politischen Motiven.

Eine starre Täterpersönlichkeit des Brandstifters gibt es dabei nicht. Doch bestimmte Profile treten gehäuft auf: Überwiegend sind es junge Männer, oft sozial isoliert, unsicher und mit geringem Selbstwertgefühl. Kriminalpsychologen betonen Parallelen zu Amokläufern, viele fühlen sich ohnmächtig und gesellschaftlich abgehängt und suchen ein Ventil. Durch die Zerstörung erleben einige zumindest für einen Moment ein Gefühl von Macht oder Bedeutung. „Manche Brandstifter glauben, sie hätten nichts mehr zu verlieren“, sagt der forensische Psychiater Carl‐Ernst von Schönfeld. Viele Täter haben zudem objektive Probleme: Nicht selten liegen geistige Beeinträchtigungen oder schulisches Scheitern vor, auch Suchtmittel spielen als Auslöser eine Rolle. Statistik zeigt, dass Brandstifter ungewöhnlich häufig an zusätzlichen psychiatrischen Störungen leiden, zum Beispiel an Persönlichkeitsstörungen, Psychosen oder organischen Hirnerkrankungen. So fand etwa eine Studie unter 90 Brandstiftern nur bei drei Tätern tatsächlich die Kriterien einer Pyromanie erfüllt, die allermeisten anderen hatten Diagnosen wie Schizophrenie, Intelligenzminderung oder Suchterkrankungen.

Auch Alter und Lebensphase spielen hinein. Unter Kindern und Jugendlichen kommt Zündeln relativ häufig vor, meist aus Neugier oder Übermut. Bei Heranwachsenden kann es zudem eine Form von Protest oder Geltungsdrang sein – insbesondere das Klischee vom Feuerwehrmann als Brandstifter beruht auf realen Fällen junger freiwilliger Feuerwehrleute, die Brände legen, um sich hinterher als Retter in Szene zu setzen. Allerdings: Dieser spezielle Fall ist eher die Ausnahme als die Regel. Insgesamt sind Brandstiftungen durch Minderjährige in den letzten Jahren deutlich rückläufig, ebenso wie das Delikt generell. Wer jung zündelt, hört zudem oft nach wenigen Vorfällen damit auf – insbesondere, wenn er erwischt wird und Konsequenzen spürt. Serientäter, die immer wieder Feuer legen bis zur Verhaftung, sind selten. Dennoch gibt es sie: Gerade sozial isolierte Wiederholungstäter finden oft schwer aus dem Teufelskreis heraus. Etwa jeder fünfte erwachsene Brandstifter wird laut von Schönfeld erneut mit Feuerlegen straffällig. Interessanterweise neigen viele jedoch eher zu anderen Delikten bei Rückfällen, nur ein Teil zündet erneut, der Rest begeht dann z.B. Gewalt- oder Eigentumsdelikte. Ein spezifisches „Brandstifter-Gen“ oder eine einheitliche Psychopathologie gibt es nicht.

In der Forensik kaum von Belang

Vor Gericht und in der forensischen Psychiatrie hat die Diagnose Pyromanie einen denkbar schweren Stand. Viele Gutachter halten sie für überflüssig. Der Grund: Die Feststellung einer „feuersüchtigen“ Veranlagung allein sagt so gut wie nichts über die Schuldfähigkeit eines Täters aus. Anders als etwa eine akute Psychose oder schwere Intelligenzminderung führt Pyromanie nicht per se dazu, dass jemand für seine Taten nicht verantwortlich gemacht werden könnte. Im deutschen Recht kann zwar auch eine schwere abnorme Störung der Impulskontrolle die Schuldfähigkeit vermindern. In der Praxis aber wird im Fall von Brandstiftern eher auf andere Diagnosen abgestellt – also: Litt der Täter an Schizophrenie, war er geistig behindert oder schwer alkoholkrank zum Tatzeitpunkt? Nur solche klaren Krankheitsbilder können eine deutliche Minderung der Steuerungsfähigkeit begründen. Einen speziellen „Brandstifter-Irrsinn“ kennt das Strafrecht hingegen nicht. „Da es kein spezifisches Brandstiftersyndrom im Erwachsenenalter gibt, sind die Fragen nach Einsichts- und Steuerungsfähigkeit… unter den gleichen Gesichtspunkten zu beurteilen wie bei anderen Delikten auch“, betont ein Lehrbuch der Forensik. Mit anderen Worten: Ein Serienbrandstifter ohne andere psychische Erkrankung gilt juristisch im Allgemeinen als voll verantwortlich für seine Taten. Die Diagnose Pyromanie ändert daran wenig. Sie kann allenfalls als erklärendes Element in einem Gutachten auftauchen – zum Beispiel um einen inneren Zwang zu beschreiben –, hat aber kaum eigenständige rechtliche Konsequenz. Manche Fachleute sehen darin sogar die Gefahr eines Alibis: „Die Klassifikation der ‚Pyromanie‘ könnte man als wenig haltbare Ausrede für jugendliche Täter betrachten, damit sie nicht die schweren Konsequenzen tragen müssen“, so von Schönfeld.

Überdies warnen Psychiater davor, übereifrige Diagnosen zu stellen und damit Kriminalität zu pathologisieren. Motivlose Feuerteufel – so bequem die Erklärung erscheinen mag, gibt es in Wirklichkeit so gut wie nie. Wer scheinbar ohne Anlass zündelt, hat bei genauerem Hinsehen doch fast immer zugrundeliegende Probleme oder Motive, die sein Handeln erklären. Ein zu enger Fokus auf die vermeintliche Pyromanie kann deshalb in die Irre führen: Es besteht das Risiko, die eigentlichen Hintergründe zu übersehen und einen Täter vorschnell als „krank“ abzustempeln. Genau das kritisierte der renommierte forensische Psychiater Hans-Ludwig Kröber schon 2015 – solche Impulskontrollstörungen seien unter Umständen nur ein Etikett für sozial unerwünschtes Verhalten, ohne echten klinischen Mehrwert. Auch das Rückfallrisiko könne fehlerhaft eingeschätzt werden, wenn man fälschlich einen pyromanischen Triebtäter unterstellt. Stattdessen fordern Experten, alle Umstände und psychischen Aspekte des Einzelfalls zu würdigen. In den Worten Schweizer Forensiker: Man sollte sich nicht auf vermeintlich motivloses Handeln fixieren, sondern die gesamte Bandbreite der Psychopathologie berücksichtigen, um Fehldiagnosen und die ungerechtfertigte Pathologisierung von Kriminalität zu vermeiden.

Angesichts all dessen wundert es nicht, dass mittlerweile offen über das Ende der Diagnose Pyromanie diskutiert wird. In einem aktuellen Übersichtsartikel bezeichnen Zürcher Forensiker das Störungsbild als „unscharf“ und „kaum noch praxisrelevant“. Die Autoren plädieren dafür, den Begriff entweder grundlegend zu überarbeiten oder ganz abzuschaffen. Stattdessen solle man Brandstiftung entweder als Symptom einer anderen psychischen Krankheit betrachten, etwa im Rahmen von Schizophrenie, geistiger Behinderung oder Persönlichkeitsstörung, oder als normale Straftat aus nachvollziehbarem Motiv einstufen. Eine eigenständige Pyromanie ohne weitere Befunde sei so selten, dass sie keine praktische Relevanz für das Gesundheitssystem habe. Auf eine solche Diagnose zu verzichten, hätte daher keinerlei Nachteile, im Gegenteil: Es würde verhindern, dass man ein längst historisches Konzept künstlich am Leben hält.

Medienhype und Wirklichkeit

Doch während die Fachwelt dabei ist, die Pyromanie als Diagnose einzustampfen, geistert der Begriff in der öffentlichen Wahrnehmung munter weiter. Vor allem Boulevardmedien lieben die plakative Figur des „Pyromanen“. So titelte etwa jüngst eine Wiener Zeitung: „Habe Drang, Sachen anzuzünden“ Pyromane legt Feuer. Im Juni 2025 hatte ein 46-jähriger Mann seine eigene Wohnung in Brand gesetzt, nicht zum ersten Mal. Schon drei frühere Brandstiftungsurteile hatte er auf dem Konto; diesmal erklärte er den Polizisten, er verspüre einen inneren Zwang zum Zündeln. Tatsächlich dürfte in seinem Fall Alkohol eine wesentliche Rolle gespielt haben (er war stark betrunken) und möglicherweise eine psychische Erkrankung. Dennoch wurde er umgehend als „amtsbekannter Pyromane“ abgestempelt. Derlei Etiketten prägen die öffentliche Vorstellung. In den Medien ist schnell von Pyromanie die Rede, sobald ein Täter Feuer legt, auch ohne nähere Ursachenforschung. Forensische Experten und Gerichte hingegen gehen mit dem Begriff weit vorsichtiger um. Oft müssen Gutachter in Interviews erst zurechtrücken, dass hinter einer Brandserie vielschichtige Gründe stecken können und eben nicht immer ein feuerlüsternes Monster am Werk ist. So betonen Fachleute gebetsmühlenartig, was auch Studien zeigen: Psychisch kranke Menschen sind nur äußerst selten brandgefährlich. Die gerne verbreitete Figur des irrlichternden Irren mit Streichholz in der Hand hat mit der Realität nur wenig zu tun.

Medientheoretisch ließe sich sagen: Pyromanie ist vor allem ein Medienphänomen – ein Schlagwort, das Schlagzeilen verkauft, aber in der Wissenschaft längst angezündet und verbrannt wurde. Zwar übt das Element des Feuers unbestreitbar eine archetypische Faszination auf uns aus. Doch die „Lust der Feuerteufel“ entpuppt sich bei genauer Betrachtung meist als Mythos. Hinter realen Brandstiftungsfällen stecken keine unerklärlichen Teufelstriebe, sondern sehr menschliche Motive und Probleme. Die moderne forensische Psychiatrie stellt deshalb klar: Ein Pyromane im romantischen Sinne ist so gut wie nie der Schuldige, sondern oft ein frustrierter, verzweifelter oder gestörter Mensch, der andere Wege gesucht hat, sich Gehör zu verschaffen oder Kontrolle zu erlangen. Die Diagnose Pyromanie mag historisch interessant sein, in heutigen Fachbüchern steht sie aber auf der Kippe. Was bleibt, ist das traurige Faktum, dass Feuerlegen schwere Schäden anrichtet, ob aus Wahn, Wut oder Wahnsinn. Und die Erkenntnis, dass man nicht jeden Brand mit einem psychiatrischen Etikett erklären kann.

One Reply to “Mythos „Feuerteufel“: wie umstritten die Diagnose Pyromanie ist”

  1. Abgesehen davon das noch viel mehr Diagnosen auf den Prüfstand gehören, stelle ich mir die Frage, ist den Täter*innen bewusst dass sie mit dem Brandlegen nicht „nur“ Sachschaden anrichten, sondern oft mehrere Menschenleben wie auch Tiere gefährden? Dieser Umstand ist bei einer Brandlegung in Wohnhäuser jedenfalls gegeben. Wenn dem so ist, kann man m.M.n relativ leicht ein oder mehrere der beschriebenen Motive finden. Die andere Frage die ich mir stelle, wie werten die Staatsanwaltschaften eine derartige Tat, wenn jemand verletzt oder getötet wird, kommt es dann zur Anklage Körperverletzung , oder versuchter Mord ? Gibt es eine besondere schwere der Schuld?

    Im allgemeinen denke ich, es werden zu viele „Diagnosen“ gestellt, bei denen anschließend jedoch keine konkrete individuelle, zielorientierte sowie konstante Therapie erfolgt.

    Immer wieder hört man, das Menschen vor ihrer Tat Hilfe gesucht haben, leider kam es, wenn überhaupt, nur zu einer standarisierten Diagnose aber keiner Langzeittherapie – Prävention gescheitert.

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