Interview mit Jürgen Pettinger zum Buch „Franz – Schwul unterm Hakenkreuz“

Jürgen Pettinger, geboren 1976 in Linz, hat Wirtschaft & Management in Innsbruck studiert und als Redakteur und Moderator von Tirol heute im ORF- Landesstudio Tirol gearbeitet. 2012 wechselte er ins ORF-Zentrum Wien. Er moderiert die ZIB18, die ZIB FlashesZIB Nacht und gestaltet regelmäßig TV- und Radio-Reportagen. Für das Ö1-Radiofeature Mit einem Warmen kein Pardon. Der Fall Franz Doms wurde er mit dem Prof. Claus Gatterer-Preis und dem deutschen dokKa-Preis geehrt.

Er ist ein völlig haltloser, seinen widernatürlichen Trieben gegenüber machtloser Verbrecher, bei dem von Freiheitsstrafen kein erzieherischer oder abschreckender Erfolg mehr zu erwarten ist.”
Aus der Anklageschrift gegen Franz Doms

Das Buch „Franz – Schwul unterm Hakenkreuz“ von Jürgen Pettinger ist ein äußerst bewegendes Werk, das die tragische Geschichte von Franz Doms, einem Opfer der systematischen Verfolgung von Homosexuellen während des NS-Regimes, einfühlsam und mit großer Sorgfalt erzählt.

Pettinger zeigt nicht nur ein tiefes Verständnis für die historischen Fakten, sondern geht auch auf eine höchst empathische Art und Weise auf die Intimität und die Emotionen des jungen Mannes ein. Der Autor versteht es, Franz nicht nur als Opfer, sondern auch als Mensch mit Träumen, Ängsten und Hoffnungen darzustellen. Das macht das Buch besonders beeindruckend und lässt den Leser wirklich in die bunte Welt von Franz eintauchen.

Das Werk bietet auch einen Einblick in das Leben von Homosexuellen zur damaligen Zeit und zeigt, wie sie unter den schrecklichen Bedingungen des NS-Regimes leiden mussten. Pettinger schafft es, die Grausamkeit und das Unrecht, das Doms widerfahren ist, auf eine schonungslose und eindringliche Weise zu beschreiben, die den Leser tief berührt und nachdenklich zurücklässt.

Insgesamt ist „Franz Doms: Ein vergessenes Opfer der NS-Justiz“ ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der NS-Verfolgung und ein einfühlsames Portrait eines jungen Mannes der von einem Polizisten erbarmungslos verfolgt wird.

Wenn Sie 2023 nur ein Buch lesen, dann sollte es dieses sein!

Wir trafen den Journalisten und Autor Jürgen Pettinger in einem Teehaus in der Wiener Neubaugasse zum Gespräch über sein neues Buch „Franz – Schwul unterm Hakenkreuz“.

Herr Pettinger, wie kam es zu diesem Buch?

Der Fall Franz Doms ist einer von vielen und Homosexuelle Opfer der Nazis haben nie ihre Geschichten erzählt. Homosexualität war bis 1971 total verboten und bis 2002 teilweise verboten. Niemand hat sich deswegen zu erzählen getraut. Das Buch ist der Versuch einem der Opfer, beispielhaft für die vielen anderen, eine Stimme wieder zu geben. Den Akt von Franz Doms habe ich zufällig bei einer Recherche zur Kinderadoption von Homosexuellen im Landesarchiv gefunden. Das erste das ich im Akt sah, war das Hinrichtungsblatt, da wird eiskalt und bürokratisch beschrieben wie Franz Doms hingerichtet wurde. Da lief mir ein Schauer über den Rücken und da scheint mir der Geist von Franz Doms hineingefahren zu sein.

Wie aufwendig war die Recherche zu diesem Buch?

Die Aktenrecherche war sehr aufwendig, denn mit seinem Akt waren viele andere verknüpft. Ich wollte auch über sein Umfeld, seine Freunde und seine Bekannten mehr erfahren. Das eigentlich schwierige war, Franz und seiner Welt wieder Farbe zu verleihen, heraus aus dem schwarz-weissen braunen Nazi-Mief. Ich hatte das Bedürfnis ihn als normalen jungen Mann darzustellen der in einer bunten Welt gelebt hat. Ich musste viel herausfinden, alleine schon: wie ist man damals im Gefängnis auf die Toilette gegangen? Das war eine langwierige Recherche, denn das schreibt natürlich auch kein Historiker und das steht in keinem Geschichtsbuch.

Sie haben auch über die Familie von Franz Doms geschrieben. Konnten Sie mit Verwandten Gespräche führen?

Ich habe lange nach Nachkommen gesucht, konnte aber niemanden finden. Die Schwester von Franz hat einen Schlögl geheiratet, diesen Namen gibt es wie Sand am Meer. Ich habe auch damals am Grab von Franz Doms am Zentralfriedhof Nachrichten hinterlassen in der Hoffnung, dass es jemand gibt der Kontakt aufnimmt. Aber um das Grab kümmert sich schon seit Jahrzehnten niemand mehr.
Vielleicht haben aber die Familien aber auch gar nicht so sehr darüber gesprochen, wenn einer aus ihren Kreisen hingerichtet wurde. Das war auch lange ein Tabuthema.

Franz Doms wurde zuerst anonym begraben, das Grab haben dann die Eltern nach dem Krieg gestellt. Wie kam es dazu?

Es ist sehr erstaunlich, denn zwischen den Zeilen aus den Akten habe ich viel über die Familie herausgelesen. Die Familie hat Franz nicht fallengelassen und sehr geliebt. Eigentlich niemand hat es damals geschafft, einen Hingerichteten so schnell aus diesem eigenen Friedhofsbereich herauszuholen. Seine Familie hat es geschafft, die haben sich wirklich Mühe gegeben seinen Leichnam aus einem undokumentierten Schachtgrab zurück zu bekommen. Die Köpfe der Enthaupteten wurden zum größten Teil an das anatomische Institut der Universität gegangen, die hatten einen Überschuss und wussten nicht, was sie mit so vielen Köpfen machen sollen. Besonders herzzerreißend: nach dem Krieg haben Familien am anatomischen Institut in Formaldehyd-Gläsern nach ihren Verwandten gesucht.

Wie schwierig war es dem bürokratischen Akt Leben einzuhauchen und die Geschichte zu erzählen?

Man muss zwischen den Zeilen lesen, das ist auch bei Gerichtsakten möglich. Aus den Aussagen der Beteiligten kann man herauslesen, wie sie zueinander standen. Also es war schwierig, aber machbar.