In britischen Gefängnissen werden psychisch kranke Insassen zunehmend in Einzelhaft untergebracht. In Ermangelung alternativer Angebote greifen die britischen Strafvollzugsbehörden bei der Behandlung und Betreuung von Gefangenen mit schweren psychischen Erkrankungen häufig auf die Absonderung als Mittel zur Verwaltung und Versorgung zurück, wie ein Bericht des Independent Monitoring Board (kurz: „IMB“) vom 25. Jänner 2024 zeigt.

Ein Mangel an Betten und Haftplätzen in gesicherten psychiatrischen Einrichtungen und Kliniken führt in England in den letzten Jahren dazu, dass viele Häftlinge mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen in Einzelhaft untergebracht werden, wo sich ihr Gesundheitszustand und ihr Wohlbefinden dramatisch verschlechtern. Der oben genannte Bericht fasst die wiederholten Versäumnisse der letzten Jahre zusammen, die seit 2022 von den unabhängigen Gutachtern des IMB dokumentiert werden. Das IMB besteht aus mehr als tausend Freiwilligen, die in allen Gefängnissen Englands und Wales für die unabhängige Überwachung der Haftanstalten zuständig sind, und vor allem darüber berichten, ob die Inhaftierten fair und menschenwürdig behandelt werden. Im Herbst 2022 wurden über einen Zeitraum von vier Wochen landesweit 31 Gefängnisse inspiziert. Dabei wurde festgestellt, dass mehr als ein Viertel (ca. 26%) der Gefangenen in Einzelhaft untergebracht sind, während sie auf die Beurteilung ihres psychischen Gesundheitszustands und die anschließende Verlegung in eine geeignete Sicherheitseinrichtung warten.

In England werden Einzelhaftzellen bzw. Einzelhafträume als CSU („Care and Seperation Unit“) bezeichnet. Dorthin werden Gefangene in der Regel zu ihrem eigenen Schutz verlegt, wenn ihnen Gewalt durch andere Insassen droht, aber auch wenn sie sich störend oder gewalttätig gegenüber Mithäftlingen verhalten. Da die Einzelhaft für die Gefangenen auf Dauer oft mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden ist, darf sie zunächst nur für 72 Stunden angeordnet werden. Danach ist in regelmäßigen Abständen ein Monitoring durchzuführen, um zu überprüfen, ob die Isolation weiterhin erforderlich und angemessen ist. An der Entscheidung sind auch das Gesundheitspersonal und ein vom Gefängnis unabhängiger Gutachter beteiligt. Im Durchschnitt verbringen die Gefangenen 3-4 Wochen in Einzelhaft, manchmal auch länger, wenn kein Platz in einer anderen Haftanstalt für sie gefunden werden kann.  

Der Bericht des Überwachungsausschusses zeigt nun auf, dass auch Männer mit schweren psychischen Erkrankungen immer häufiger in Einzelhaft verlegt werden, zum einen, um sie dort besser versorgen zu können, zum anderen, weil es zu erheblichen Verzögerungen bei der Suche nach Plätzen in geeigneten psychiatrischen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen kommt. Laut IMB werden die Einzelhaftzellen aufgrund dessen zunehmend zweckentfremdet.

Die Richtlinien des NHS (National Health Service England) sehen vor, dass psychisch kranke Häftlinge, die einer stationären Behandlung bedürfen, innerhalb von 28 Tagen verlegt werden sollen – ein Ziel, das offenbar nicht erreicht wird. Bereits im vergangenen Jahr wurde dem Parlament ein Gesetzesentwurf in Form einer Reform des Mental Health Act vorgelegt, in dem das 28-Tage-Ziel gesetzlich verankert werden sollte. Das Gesetzesvorhaben wurde jedoch in der Rede des britischen Königs im November 2023 nicht berücksichtigt, wodurch die Umsetzung vorerst auf Eis gelegt wurde.

In den letzten Jahren kam es immer wieder zu erheblichen Verzögerungen bei der Überstellung, der Beurteilung des Gesundheitszustandes und der anschließenden Verlegung von psychisch erkrankten Gefangenen, wobei die Betroffenen in der Zwischenzeit ihre Zeit in Einzelhaft verbringen mussten.

In einigen besorgniserregenden Fällen verbrachten Gefängnisinsassen sogar mehrere Monate in Einzelhaft, so z.B. ein Mann mit einer diagnostizierten Schizophrenie, Autismus und schweren ADHS-Symptomen. Er war insgesamt neun Monate in Einzelhaft untergebracht worden, wobei sich sein Zustand während dieser Zeit erheblich verschlechterte. In einem anderen bekannt gewordenen Fall wartete ein Häftling, der ebenfalls an einer schweren psychischen Erkrankung litt, fast 300 Tage auf die Begutachtung zur Verlegung in eine psychiatrische Klinik. Bis zur tatsächlichen Überstellung hatte er bereits 550 Tage in Einzelhaft verbracht, womit die angestrebte Verlegungsfrist von 28 Tagen um das Zwanzigfache überschritten wurde.

Die Freiwilligen des IMB äußerten vor allem ihre Besorgnis in Hinblick auf Gefangene, die zum Schutz der Allgemeinheit unbestimmte Freiheitsstrafen verbüßen müssen, aber aufgrund ihrer Krankheit häufig in Einzelhaft verlegt werden. Ganze 800 Tage war ein betroffener Häftling abgesondert gewesen, ein anderer 250 Tage, wobei er laut dem Bericht eines freiwilligen Begutachters als „verwirrt, weinerlich, unberechenbar und sprunghaft“ wahrgenommen wurde.

Auch die Vorsitzende des IMB, Elisabeth Davis, äußerte sich zu dem Bericht. Sie betonte vor allem, dass, auch wenn die Verlegungsmöglichkeiten für psychisch kranke Häftlinge begrenzt seien, Einzelhaftzellen nicht als „Abschiebegefängnisse“ für besonders gefährdete Personen genutzt werden dürften. Wenn sich etwas ändern solle, so könne dies nur durch die Bereitstellung und den Ausbau einer adäquaten psychiatrischen Versorgung sowie durch eine strengere Kontrolle der Verlegungsfristen von Haftanstalten in psychiatrische Kliniken erreicht werden. Außerdem ist sie der Meinung, dass die gesetzliche Festschreibung des 28-tägigen Verlegungsziels ein Schritt in die richtige Richtung gewesen wäre. „In der Zwischenzeit wird die Segregation weiterhin als falsches Instrument zur Bewältigung der Krise im Bereich der psychischen Gesundheit in den Haftanstalten eingesetzt“.

Obwohl die GutachterInnen feststellten, dass das Gefängnispersonal in den einzelnen Haftanstalten durchaus bemüht ist, die Gefangenen so gut wie möglich zu unterstützen, zeigt der Bericht sehr deutlich die systematische Nichteinhaltung der Verlegungsziele auf. Die Gefangenen müssen viel länger als ursprünglich vorgesehen in Einzelhaft bleiben, wobei die damit einhergehende zunehmende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes offenbar nicht berücksichtigt wird.

Die Behandlung, Begutachtung und Versorgung psychisch kranker Strafgefangener kann nach dem Mental Health Act rein rechtlich gesehen, nicht in den Haftanstalten bzw. außerhalb gesicherter psychiatrischer Kliniken erfolgen. Charlie Taylor (Chief Inspector of prisons, England) äußerte sich dazu wie folgt: “Eine frühzeitige Behandlung psychischer Störungen ist von entscheidender Bedeutung. Der verzögerte Zugang zu einer solchen Behandlung, die in den Haftanstalten schlichtweg nicht angeboten werden kann, führt zu irreversiblen Schäden bei den Betroffenen“. Angesichts der derzeitigen Überfüllung der britischen Gefängnisse und der psychischen wie auch physischen Herausforderungen, denen sich sowohl das Gefängnispersonal als auch das Gesundheitspersonal gegenübersehen, müsse die sofortige Verlegung der Betroffenen in gesicherte psychiatrische Kliniken und Einrichtungen zukünftig oberste Priorität haben.

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