Am 7. Juni fand vor der JA Wien-Simmering der erste von drei Aktionstagen „Gefangen im System“ statt. Das Motto lautete: „Wozu strafen?“

Organisiert wurde die Veranstaltung von der Antirepressionsgruppe Innsbruck, dem Infoladen Graz, inmates shelter und der Union für die Rechte von Gefangenen. 

Eine kleine Schar Engagierter, alle Altersgruppen waren vertreten, baute einen Tisch mit Verteilschriften auf. Ein Transparent wurde am Zaun zum Garten der Justizanstalt befestigt. Briefe von Gefangenen zum Thema wurden aufgehängt.

Monika Mokre las die Rede vor, die Oliver Riepan, ein in der JA Stein Untergebrachter, für diesen Anlass geschrieben hat.

Nicole Lieger, (Politikwissenschaftlerin und Autorin) sprach über Chancen und Möglichkeiten von Restorative Justice. Sie regte an, dass Diversion und Tatausgleich nicht die Ausnahme sein sollen, wie es derzeit gehandhabt wird. Sowohl dem Täter als auch den Betroffenen einer Straftat sollte die Möglichkeit angeboten werden, zwischen Gerichtsverfahren und den Methoden von Restorative Justice zu wählen.

Reinhard Kreissl (Kriminalsoziologe, Vicesse) berichtete von einer Untersuchung mit Jugendlichen. Während die eine Gruppe für ihr Delikt verurteilt und inhaftiert wurde, konnte die andere Gruppe, die bei ihren Delikten nicht „erwischt“ wurden, ihre Lehre fortsetzen und abschließen. Bei dieser Gruppe „wuchs sich das regelwidrige Verhalten im Lauf des Erwachsenwerdens aus“. Die Gruppe, die früh mit der Justiz und allen Folgen zu tun bekam, hat mehrheitlich diesen Prozess der Reifung nicht vollzogen sondern blieb weiterhin anfällig für Delikte.

Besonders eindrucksvoll war für mich seine politische Analyse, die ich hier nur ganz knapp wiedergeben kann: In den 1970ern, also zur Zeit der großen Justizreform, lag der Schwerpunkt des politischen Handelns und dann eben auch der politischen Kommunikation auf der Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Heute herrscht in der Politik die Erzählung von der Verbesserung der Sicherheit vor allen anderen. Die beeinflusst dann eben auch neben anderen Bereichen die Justiz.

Roza Dunajeva, Vertreterin der tschetschenischen Community in Wien, wie auf Menschenrechtsverletzungen hin, die an tschetschenischen Insassen wiederholt begangen werden.

Berfin Şilen, betrachtete das System Gefängnis aus feministischer Sicht.

Während der Reden erschienen drei männliche und eine weibliche JustizwachebeamtIn und verlangten, dass das Transparent und die Briefe vom Zaun zum Garten der JA entfernt werden müssten. „Aus Sicherheitsgründen“, wie sie sagten. Was auch unter deren wachsamen Blicken geschah.

Weitere Aktionstage folgen:

Am 21. Juni vor der JA Graz – Karlau mit dem Thema: „Missstände im Knast“.

Am 28. Juni vor der JA Völs mit dem Thema: „Solidarität mit Gefangenen“.


Interview mit einer Teilnehmerin, die anonym bleiben möchte, am Prison Day vor der JA Simmering

M&R: Wie alt sind Sie?
29
M&R: Sie stehen hier vor dem Gefängnis. Fürchten Sie sich denn nicht vor den Verbrechern?
Schwierige Frage. Also ich glaub, wahrscheinlich manchen Leuten würde ich in gewissen Situationen nicht begegnen wollen. Aber ich denke, dass die Angst, die generell geschürt wird in der Gesellschaft, viel zu übertrieben ist. Und die meisten Menschen, die im Gefängnis sitzen, keinem Menschen was zuleide tun wollen. Oder es auch nicht getan haben. Deswegen würde ich jetzt mal sagen: Nein, ich fürchte mich nicht.
M&R: Warum sind Sie heute hier?
Ich bin Teil der Union für die Rechte von Gefangenen. Also ich bin außerordentliches Mitglied. Das heißt, ich bin draußen, ich bin nicht im Gefängnis. Ich bin in der Solidaritätsgruppe für eine Gefangenengewerkschaft in Österreich, weil ich es einfach wichtig finde, Gefangene in ihren Rechten zu unterstützen und auch auf die Situation in den Gefängnissen aufmerksam zu machen, die häufig sehr schlimm ist.
M&R: Wie sind Sie zu der Gruppe gekommen?
Ich hab die Monika (gemeint ist Monika Mokre Anmerkung der Redaktion) bei einer Podiumsdiskussion gesehen. Vor eineinhalb Jahren. Da ging es auch um Gefängnisse unter anderem. Daraufhin bin ich zu einem Workshop von ihr gegangen, wo wir Briefe ins Gefängnis geschrieben haben. Das hat mir so gut gefallen, dass ich gesagt habe, ich möchte sie dabei unterstützen. Seitdem organisiere ich diese Workshops eben mit.
M&R: Und sie schreiben auch Briefe an einen Insassen?
Mittlerweile habe ich einen Brieffreund. Zuerst habe ich Briefe geschrieben und keine Antwort bekommen. Seit ein paar Monaten scheibe ich mit einem Herrn hin und her.
M&R: Jetzt frag ich Sie was, was ich persönlich nie fragen würde. Aber ich weiß, dass das immer wieder Menschen fragen: Fürchten Sie sich nicht davor, was passiert, wenn der dann entlassen wird?
Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Ich würde sagen nein, weil ich weiß weswegen er sitzt. Ich weiß, dass er mir nichts zuleide tun würde. Ich versteh aber auch, wenn man gewisse Sorgen hat. Als Frau generell.
M&R: Jetzt darf ich Sie noch fragen, was Sie beruflich machen.
Ja, ich bin Sozialarbeiterin. Ich arbeite in der Wohnungslosenhilfe. Das ist auch ein Grund, weswegen ich mich für Gefangene einsetze. Weil ich einfach sehe, viele meiner KlientInnen waren inhaftiert und werden einfach wohnungslos nach der Haft, weil sie einfach vor der Entlassung nicht darauf vorbereitet werden. Es gibt viele Gründe. Aber viele Menschen verlernen grundlegende soziale Fähigkeiten während der Haft. Es ist schwer sich danach in der normalen Welt zurecht zu finden. Alle diese grundlegenden Sachen sind einfach schwierig für sie.
M&R: Vielen Dank für das Gespräch.

Fotos: Menschen & Rechte

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