Dieser Beitrag basiert auf dem Aufsatz „Ultima-Ratio-Grundsatz und Verhältnismäßigkeit im Recht des Maßnahmenvollzugs“ von Carina-Paloma Bahro (Universität Innsbruck, Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie). Thematisiert wird die Anordnung und Vollziehung der Maßnahme nach § 21 StGB im Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf persönliche Freiheit gemäß Art 1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG) und Art 5 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die gesetzliche Ausgestaltung der Anordnung des Maßnahmenvollzugs den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Ultima-Ratio-Prinzips gerecht wird.

Die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 StGB

Univ. Ass. Mag. Bahro beschäftigt sich mit der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 StGB als vorbeugende Maßnahme (sogenannter „Maßnahmenvollzug“). Das setzt voraus, dass eine Tat von einer gewissen Mindestschwere unter Einfluss einer „schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung“ begangen wurde, wobei der Täter wegen dieser Störung zurechnungsunfähig (Abs 1) oder aber zurechnungsfähig (Abs 2) gewesen sein kann. Außerdem muss eine weitere Tat unter dem Einfluss der Störung zu befürchten sein (Prognosetat).

Im Unterschied zur Strafe, die sich an der Schuld des Täters orientiert, basiert die Maßnahme stattdessen auf der Gefährlichkeit der Person. Diese Gefährlichkeit muss sich zwar aus einer Anlasstat ergeben und eine Prognosetat befürchten lassen, aber es reichen dafür jeweils Delikte minderschwerer Kriminalität.

Anders als bei Freiheitsstrafen ist die Unterbringung zeitlich nicht begrenzt. Die Dauer hängt davon ab, wie sich der Gesundheitszustand der betroffenen Person entwickelt – also von Prognosen, die in die Zukunft gerichtet sind. Strafen hingegen orientieren sich an dem begangenen Unrecht in der Vergangenheit.

Ausgangsfrage

Es stellt sich die Frage, ob die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum wirklich unausweichlich ist, sobald die Voraussetzungen nach § 21 StGB erfüllt sind. Diese Frage ist besonders wichtig, weil mit einer Unterbringung in das Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art 1 PersFrG und Art 5 EMRK) eingegriffen wird und solche Eingriffe nur dann verfassungsrechtlich zulässig sein können, wenn sie „notwendig“ sind.

Ein Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit erfordert Verhältnismäßigkeit und muss dem Ultima-Ratio-Prinzip Rechnung tragen

Das Recht auf persönliche Freiheit ist insbesondere in Art 1 PersFrG verankert. Dort heißt es unter anderem:

„(3) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

Ein Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit erfordert eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und jenen der Gesellschaft bzw. der Öffentlichkeit. Dabei sind vier grundlegende Kriterien zu beachten:

  1. Legitimes Ziel: Der Freiheitsentzug muss ein rechtmäßiges Ziel verfolgen, zum Beispiel der Schutz der Gesellschaft.
  2. Geeignetheit: Die Maßnahme muss grundsätzlich geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen.
  3. Notwendigkeit: Es darf kein milderes Mittel geben, das denselben Zweck erfüllt. Das nennt man auch das Ultima-Ratio-Prinzip.
  4. Adäquanz: Die Schwere des Eingriffs muss in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Maßnahme stehen. Darunter versteht man eine umfassende Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und der Schwere des Grundrechtseingriffs zu Lasten des Betroffenen.

Mit der Anhaltung im Maßnahmenvollzug kommt es zu einem Entzug der persönlichen Freiheit, der einen starken Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit darstellt und strengen Anforderungen unterliegt. Der Freiheitsentzug muss daher ausdrücklich das letzte Mittel, also die Ultima-Ratio sein. Deshalb stellt sich die Ausgangsfrage, ob die Unterbringung in den Maßnahmenvollzug bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB wirklich diesem Ultima-Ratio-Prinzip standhält und das gelindeste Mittel ist oder ob es dazu Alternativen gäbe.

Lückenhafte Umsetzung des Ultima-Ratio-Prinzips und gänzliches Fehlen einer Verhältnismäßigkeitsklausel

Im Grunde genommen kommt Bahro zu dem Schluss, dass das österreichische Maßnahmenrecht zwar grundsätzlich den grundlegenden Anforderungen eines Rechtsstaats nach Art 5 Abs 1 lit a und e EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) entspricht, jedoch die gesetzliche Umsetzung des Ultima-Ratio-Prinzips derzeit noch lückenhaft ist und eine Verhältnismäßigkeitsklausel gänzlich fehlt. Die weitergehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen des PersFrG werden also nicht eingehalten.

Die Gefährlichkeit des Täters wird in der Praxis oft als alleinige Rechtfertigung für die Maßnahme herangezogen. Dabei spielen weder die Erfolgsaussichten einer Behandlung noch die Bereitschaft zur Therapie eine Rolle. Bahro kritisiert, dass dadurch auch Menschen untergebracht werden, bei denen dies nicht notwendig oder sinnvoll sei. So ist beispielsweise zu bedenken, dass jemand, der an einer Intelligenzminderung leidet und offensichtlich nicht geheilt werden kann, wohl kaum „ungefährlich“ iSd § 45 StGB werden kann, wodurch er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer langjährigen oder womöglich lebenslangen Anhaltung befindet. Darauf solle daher im Gesetz zukünftig Rücksicht genommen werden. Es wäre gerade für solche Fälle ein verbindlicher Zusammenhang zwischen Gefährlichkeit bzw. Schwere der Anlasstat und Vollzugsdauer festzulegen. Grund für eine ausbleibende Besserung der psychischen Lage könne auch eine Fehldiagnose sein. Dies darf sich aber nicht zum Nachteil des Betroffenen auswirken. All diese Punkte müssen daher beim Ausspruch der Unterbringung berücksichtigt werden. Bahro appelliert, dass insbesondere bei unheilbar Kranken Spezialeinrichtungen zuständig sein sollten, wobei eine individuelle Betreuung ermöglicht werden solle.

Der Gesetzgeber müsse hier dringend nachbessern. Es sei nicht zumutbar, jemanden als Gefahrenquelle unbefristet zu isolieren, ohne dabei die zugrundeliegende Erkrankung, Behandlung und Besserung zu berücksichtigen.

Bahro fordert, dass die Unterbringung im Maßnahmenvollzug wirklich nur dann erfolgen darf, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Vor allem bei minderschweren Taten und guten Behandlungsaussichten sollte eine ambulante Therapie (in Verbindung mit Bewährungshilfe und Auflagen) in Erwägung gezogen werden.

Gleichheitsrechtliche Probleme

Zu beachten ist, dass viele Betroffene im Maßnahmenvollzug untergebracht sind, deren Anlasstat kein Verbrechen – das heißt keine Tat, die mit über drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist – darstellt. Oft handelt es sich um Vergehen, wie jenes nach § 107 Abs 2 StGB (Gefährliche Drohung), welche regelmäßig einen vergleichsweise geringen Nachteil für das Opfer bzw die von der Rechtsordnung geschützten Werte bedeuten. Deshalb erscheint die Unterbringung, die zeitlich unbefristet ausgesprochen wird, in solchen Fällen als besonders harte Maßnahme.

Damit im Zusammenhang zeigt Bahro gleichheitsrechtliche Probleme auf. Dies wird nun vereinfacht am Beispiel der gefährlichen Drohung dargestellt: Einer Person, die unter dem maßgeblichen Einfluss einer Erkrankung (das Gesetz spricht von „einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung“) im Zustand der Zurechungsunfähigkeit, das heißt nicht schuldhaft, eine gefährliche Drohung begeht, kann durch die zeitlich unbefristete Maßnahme ihre persönlichen Freiheit viel länger entzogen werden als einer Person, die schuldhaft und ohne den Einfluss einer psychischen Erkrankung das Delikt der gefährlichen Drohung begeht, weil die Höchststrafe dieses Delikts mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bzw. bis zu 720 Tagessätzen Geldstrafe begrenzt ist.

Darin sieht Bahro einen unterschiedslosen, unbegrenzten und im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorhersehbaren Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit der sich ausgerechnet gegen Menschen mit einer psychischen Erkrankung richtet. Dieser Eingriff sei dabei nicht sachgerecht und aus verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Gründen untragbar. Daher muss im Gesetzestext dem Grundsatz der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in Zukunft strikter Rechnung getragen werden.

Lösungsvorschläge

Die Rückübertragung des Maßnahmenvollzuges in das Gesundheitswesen erachtet Bahro als sinnvoll, räumt aber ein, dass dies in der Praxis schwer umsetzbar ist. Stattdessen plädiert sie für eine interdisziplinäre und behandlungsorientierte Sichtweise sowie bessere Zusammenarbeit zwischen Justiz und Gesundheitssystem. Ein erster sinnvoller Schritt wäre, Kriseninterventionen in ein klinisches Umfeld zu verlagern, damit Betroffene nicht sofort aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden.

Langfristig sollte die Lösung sein, dass Betroffene – statt im Maßnahmenvollzug – verstärkt in einem kontrollierten, ambulanten, aber nicht-justiziellen Umfeld Behandlung und Betreuung erhalten. Damit würde es Betroffenen ermöglicht werden, dass sie sich als vollwertiger Teil der Gesellschaft fühlen und sie so auch nachhaltig (re-)integriert werden können.

Conclusio

Zusammenfassend ist Bahro zuzustimmen, dass der Maßnahmenvollzug zwar nicht gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verstößt, das Ultima-Ratio-Prinzip und die Verhältnismäßigkeit jedoch künftig stärker beachtet und Letzteres ausdrücklich im Gesetz verankert werden sollte.

Der von Bahro vorgeschlagene Lösungsweg, nämlich den Maßnahmenvollzug langfristig in das Gesundheitswesen zu übertragen, ist einer, der aufgrund vieler Überlegungen, insbesondere Reintegration und der besseren Berücksichtigung des Individuums auch von der Autorin befürwortet wird.

Hinweis: basierend auf dem Aufsatz: „Ultima-Ratio-Grundsatz und Verhältnismäßigkeit im Recht des Maßnahmenvollzugs“ von Univ. Ass. Mag. Carina-Paloma Bahro

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