Nachlasspflegerinnen und Nachlasspfleger sind stille Begleiter am Rand des Lebens, und oft die einzigen, die am Ende noch Ordnung schaffen, wenn niemand mehr da ist oder das emotionale Erbe die Angehörigen überfordert. Sie betreten Wohnungen, in denen das Leben stehen geblieben ist, begegnen Menschen in Trauer, treffen auf ungelöste Konflikte, und verwalten das, was übrig bleibt. Marcel Sonnenberg ist einer der bekanntesten Nachlasspfleger Deutschlands. In seinem neuen Buch schildert er mit berührender Offenheit, leiser Komik und viel fachlicher Präzision, was es bedeutet, zwischen Aktenbergen und Erinnerungsstücken Mensch zu bleiben. Ein Gespräch über Erbe, Endlichkeit und warum Monoski fahren ein Vermächtnis sein kann.

Herr Sonnenberg, Sie arbeiten seit vielen Jahren als Nachlasspfleger. Wie sind Sie in diesen Beruf hineingewachsen und was hat sich in Ihrem Blick auf das Thema Erbe über die Jahre verändert.

Ich bin anfangs mit meiner gewohnten Strategie als Insolvenzverwalter an die Arbeit gegangen. Vermögen suchen, finden, verwerten. Den Rest erhalten die Erben. Ich musste schnell lernen, dass meine Rolle eine andere ist. Ich werde als der „Tote“ behandelt und nicht wie der neutrale Dritte. Als Insolvenzverwalter sind sie der neutrale Dritte. Das bedeutet, dass jeder mit dem Verstorbenen einen echten oder emotionalen Vertrag hat, den er hofft von Ihnen erfüllt zu bekommen. Beispiel: der Vermieter erwartet von mir die besenreine Übergabe und Zahlung der Miete. Renovierung gerne. Das war ja so abgemacht. Der Bruder möchte den Rest der Erbschaft der Eltern… seinen CD Spieler… oder er möchte den Ausgleich für die Zahlung der Mutter… verstehen Sie was ich meine. Oder die Uhr des Vaters.

Erben ist zwar zunächst eine finanzielle Sache, in erster Linie aber auch sehr emotional und die Gründe liegen oft Jahre zurück. Zudem stelle ich fest, dass bei vielen Menschen wenig geregelt ist und vor allem niemand offen darüber redet: „Emma du erhältst 20.000 € für die Ausbildung deiner Kinder; Klaus du nur 10.000, du hast keine Kinder. Das Haus soll verkauft werden, den Erlös teilt ihr euch.“

In Ihrem Buch beschreiben Sie Fälle, die berühren, erschüttern oder zum Schmunzeln bringen. Gibt es eine Geschichte, die Sie selbst nicht mehr losgelassen hat

Ja, viele. Erweiterte Suizide finde ich schrecklich. Menschen sterben weil ein anderer krank ist. Eine Mutter nimmt ihren sechs Jahre alten Sohn mit in den Tod, schrecklich. Vielen Menschen merkt man in der Wohnung die Einsamkeit an, in der sie gelebt haben. Das ist sehr traurig, wenn man weiß, da hätte jemand Hilfe gebrauchen können und vielleicht wäre sein Leben anders verlaufen.

Der Tod ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema. Wie gehen Angehörige in Ihrer Praxis typischerweise damit um und was erleben Sie im Umgang mit der Endlichkeit des Lebens.

Niemand spricht über die Endlichkeit. Gerade erfahren wir allen den Hype um Longevity. Es ist überall in den Medien.  Das zeigt doch wie Ehrlich wir da alle zu uns selbst sind. Selbst wenn jemand zur Beratung kommt, lässt er sich meist noch ein kleines Türchen offen, um den Vertrag doch noch aufheben zu können. Lieber die Immobilie noch nicht übertragen, wer weiss was morgen ist. Selbst sehr sehr kranke Menschen regeln die Dinge oft nicht ordentlich. Schauen Sie doch mal in Ihren oder den Keller ihrer Eltern. Was liegt da alles rum aus vielen Generationen (das schöne Kaffeegeschirr, Babykleidung, Schränke, Bilder etc. ). Wer soll denn was damit anfangen, wenn Sie gestorben sind? Und warum werfen Sie es nicht weg?

Ihre Arbeit bewegt sich zwischen Recht, Psychologie und Organisation. Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die man mitbringen muss, um in diesem Beruf nicht zu scheitern

Die emotionale Distanz zu wahren, auch wenn ich mir das hart über die Jahre erarbeiten musste. Mit der Erwartungshaltung Dritter musste ich lernen umzugehen und eine Gelassenheit entwickeln. Und Sie müssen juristisch in allen Rechtsgebieten zumindest gute Kenntnisse haben und sauber buchhalterisch arbeiten. Sie wickeln das ganze Leben eines Menschen ab. Also Mietrecht, Versicherungsrecht, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht, Erbrecht sowieso, Bank und Kapitalmarktrecht, Aktien, etc. Sozialrecht. Und die Gerichte verlangen ordentliche Rechnungslegung.

Sie schreiben mit großer Ernsthaftigkeit, aber auch mit spürbarem Humor. Ist das ein Mittel zur Selbstfürsorge oder Teil Ihres professionellen Zugangs zur Arbeit.

Wenn ich den Humor manchmal nicht hätte, würde mich das emotional zu sehr mitnehmen. Ich mache die Arbeit sehr ernst und gewissenhaft. Ich arbeite sehr viel. Das ist auf Dauer auch anstrengend. Ich arbeite für Gerichte mit vielen Fristen und harten Vorgaben.  Da müssen sich bei aller Traurigkeit auch mal den Humor bewahren, wenn Sie z.B. Liebesbriefe oder Fotos der Verstorbenen finden.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für eine strukturelle Verbesserung in Ihrem Tätigkeitsfeld zum Beispiel in der Justiz, der Verwaltung oder im gesellschaftlichen Umgang mit Nachlässen was wäre das

Digitalisierung. Ich muss zu jeder Bank in jedem Verfahren und mich persönlich vorstellen und legitimieren. Ich erhalte oft keine Auskünfte, weil der beglaubigte Beschluss fehlt. Da geht viel Zeit verloren. Die Kenntnis unseres Berufsstandes in der Bevölkerung wäre wünschenswert. Die Frage zum gesellschaftlichen Umgang würde jetzt zu weit führen.

Angenommen Sie würden einmal selbst beerbt. Was glauben Sie würde man in Ihrem Nachlass finden das andere Menschen überraschen würde

Ich fahre leidenschaftlich Ski seit ich drei Jahre alt war. Bei mir gibt es neben Ski, Snowboard etc. zwei Monoski aus den 80 er Jahren. Ich liebe Monoski fahren. Es kennt nur niemand mehr. Ansonsten denke ich wären die Erben überrascht wie wenig da ist.

Und zum Schluss eine eher ungewöhnliche Frage: Wenn Sie eine Erbschaft von einer historischen Persönlichkeit antreten könnten, egal ob Gegenstand oder Idee wessen Erbe würden Sie gerne übernehmen und warum?

Ich denke es müsste ein Künstler oder Künstlerin sein. Egal Musiker, Maler oder Schriftsteller. Ich denke es ist spannend in den Werdegang und in das Schaffen einzutauchen und die unentdeckten Ideen zu sehen: Was wäre noch gekommen? Welche Musik hätte Prince in den nächsten Jahren komponiert? Was hätten Dali oder Colani noch erschaffen?

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.

Was bleibt, wenn wir gehen? Marcel Sonnenberg zeigt, dass es oft nicht nur um Häuser, Konten oder Schmuckstücke geht, sondern um Geschichten, Hoffnungen und manchmal auch unerfüllte Versprechen. Als Nachlasspfleger ist er nicht nur Verwalter, sondern Übersetzer des Ungesagten, Vermittler zwischen Gesetz und Leben, Chronist der Endlichkeit. Seine Perspektiven laden ein, rechtzeitig zu regeln, was später sonst andere tun müssen – und dabei auch dem eigenen Leben mit mehr Klarheit und Mitgefühl zu begegnen.


Zur Person: Marcel Sonnenberg

Der Autor, Marcel Sonnenberg
Foto: ©2024 MICHAEL PHILIPP BADER

Marcel Sonnenberg ist seit über zwei Jahrzehnten als Nachlasspfleger, Testamentsvollstrecker und Insolvenzverwalter tätig. Der studierte Jurist verfügt über umfassende Kenntnisse im Erb-, Zivil- und Insolvenzrecht und zählt zu den erfahrensten Praktikern seines Fachs. In seinem Arbeitsalltag wickelt er Leben ab – rechtlich korrekt, organisatorisch präzise und menschlich nah. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist Sonnenberg auch als Autor aktiv. Sein jüngstes Buch bietet einen seltenen Einblick in eine oft übersehene, aber gesellschaftlich hochrelevante Tätigkeit: die professionelle Begleitung ungeklärter Nachlasssituationen. Marcel Sonnenberg lebt mit seiner Familie in Deutschland und ist passionierter Skifahrer – mit einer besonderen Vorliebe für Monoskis aus den 1980er Jahren.


Buchempfehlung

„Die Erben der Toten – Erlebnisse eines Testamentsvollstreckers“
Hardcover, 224 Seiten, erschienen im Riva Verlag im Mai 2025
ISBN: 978-3-7423-2836-6, € 20,00

Marcel Sonnenberg und Ko-Autorin Katja Mitić gelingt mit Die Erben der Toten ein gleichermaßen erschütterndes wie tief menschliches Buch über das, was bleibt, wenn ein Leben endet und was dann beginnt: Der behutsame, aber auch juristisch präzise geregelte Prozess der Nachlassabwicklung. Sonnenberg, erfahrener Nachlasspfleger und Testamentsvollstrecker, öffnet die Tür zu einer Welt, die viele lieber meiden: Wohnungen Verstorbener, Akten mit Schulden oder Millionen, Familiengeschichten, die erst nach dem Tod ihre ganze Tragik oder Absurdität entfalten.

Der Einstieg mit dem Fall „Helmut“ ist ein literarischer Kraftakt. Mit journalistischer Detailgenauigkeit und erzählerischer Wucht beschreibt Sonnenberg nicht nur Gerüche, Bilder und Stimmungen, sondern auch das emotionale Gewicht, das in jedem Nachlass steckt. Dabei bleibt er stets respektvoll, ohne zu beschönigen. Die Leserinnen und Leser erleben die Arbeit eines Mannes mit, der im Auftrag der Gerichte zum „Stellvertreter des Toten“ wird –und in dessen Verantwortung es liegt, Ordnung in ein oft chaotisches Erbe zu bringen.

Besonders hervorzuheben ist die Balance zwischen sachlicher Information und erzählerischer Wärme. Sonnenberg erklärt komplexe rechtliche Prozesse verständlich, ohne ins Belehrende zu kippen. Gleichzeitig bewahrt er sich eine beeindruckende Empathie für die Menschen, deren Leben er posthum rekonstruiert –selbst dann, wenn diese Schulden, Geheimnisse oder zerstörte Familienverhältnisse hinterlassen.

Das Buch bietet weit mehr als skurrile Erbschaftsgeschichten oder Abrechnungen mit geldgierigen Verwandten. Es ist ein Plädoyer für ein bewussteres Leben und ein Appell, die Dinge rechtzeitig zu regeln. Zwischen Mord, Steuerbetrug, Liebe, Sammlerleidenschaften und Einsamkeit zeichnet sich ein Panorama unserer Gesellschaft ab, das gleichermaßen berührt wie beschämt.

Die Erben der Toten ist ein wichtiges Buch. Es schafft Aufmerksamkeit für einen Beruf, der sonst im Schatten agiert, und gibt dem Tod und seinen Nachwehen eine neue, ehrliche Sprache. Sonnenberg lässt uns mitdenken, mitfühlen und manchmal auch mitlachen. Ein leises, aber eindrucksvolles Buch, das lange nachhallt.

One Reply to “„Der Letzte macht das Licht aus“: Marcel Sonnenberg über das stille Geschäft mit dem Tod”

  1. Schwerer Beruf, fasst so schwer wie der von Tatortreiniger. Frage: Gibt es diesen Beruf Stand auch in Österreich oder gibt es hier nur Gerichtsvollzieher und Notare ?

Schreibe einen Kommentar zu Claus Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert