ExpertInnen kritisieren insbesondere die Dauer des Freiheitsentzugs sowie den Mangel an Therapieangeboten und entsprechendem Fachpersonal.

Im kürzlich veröffentlichten Forschungsbericht „Gerechtigkeit für alle – Stärkung der Rechte von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen im strafrechtlichen Freiheitsentzug“ gibt Bernadette Fidler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR), einen Überblick über die diesbezüglich geltende heimische Rechtslage. Besondere Berücksichtigung findet das mit Jahresmitte in Kraft getretene Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz.

Bernadette Fidler (BIM-GMR) Foto: Moritz Nachtschatt

Die Wissenschaftlerin analysiert gegenwärtige Missstände, thematisiert vielversprechende Praktiken und formuliert Empfehlungen zur Stärkung der Rechte von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen. Neben der Auseinandersetzung mit dem österreichischen Maßnahmenvollzug beschäftigt sie sich auch mit der Umsetzung relevanter EU-Rahmenbeschlüsse zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafverfahren (u.a. dem Europäischen Haftbefehl).

Der Bericht ist Teil eines gleichnamigen, in Zusammenarbeit mit fünf europäischen Partnerorganisationen umgesetzten und von der EU finanzierten Forschungsprojekts. Kritisiert werden darin unter anderem der unlimitierte Freiheitsentzug im strafrechtlichen Kontext sowie der Mangel an Therapieangeboten und entsprechendem Fachpersonal. Ferner thematisiert die Studie die Qualität der Sachverständigengutachten sowie die Notwendigkeit, Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen während der Unterbringung entsprechend rechtlich zu vertreten. Auch kamen zahlreiche im Zuge der Forschungstätigkeit befragte ExpertInnen zu dem Ergebnis, dass es als präventive Maßnahme einer verstärkten (u.a. therapeutischen und medizinischen) Unterstützung im Rahmen des Gesundheitssystems bedarf. So könne gewährleistet werden, dass betroffene Personen rechtzeitig Unterstützung und Behandlung bekommen und dadurch auch strafbare Handlungen verhindert werden können, die eine Unterbringung im Maßnahmenvollzug zur Folge haben könnten. Positiv wurden die Möglichkeit der Abhaltung einer Sozialnetzkonferenz sowie die Krisenintervention festgehalten. Zudem soll die neue Bestimmung zum vorläufigen Absehen vom Vollzug dazu führen, dass Alternativen zum Freiheitsentzug in jedem Fall konkret geprüft werden. „Insgesamt bleibt abzuwarten, welche Veränderungen das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz in der Praxis bringen wird„, zeigt sich Bernadette Fidler gespannt. Fraglich sei auch, wann der versprochene zweite Teil der Reform (der unter anderem den Vollzug selbst und auch das Angebot an Therapiemöglichkeiten reformieren soll) erscheinen wird, so die Wissenschaftlerin weiter.

Über das Projekt

Das Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte hat im Zeitraum Jänner 2022 bis Dezember 2023 gemeinsam mit fünf Partnerorganisationen aus Bulgarien, Deutschland, Italien, Litauen und Slowenien das Projekt „Gerechtigkeit für alle“ umgesetzt. Dieses beschäftigte sich mit den Rechten von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen im strafrechtlichen Kontext. Insbesondere wurden der strafrechtliche Freiheitsentzug sowie Alternativen zum Freiheitsentzug beleuchtet. Die Forschung umfasste unter anderem zahlreiche Konsultationen mit StakeholderInnen sowie ExpertInnen-Interviews. Auf nationaler österreichischer Ebene standen insbesondere Bestimmungen betreffend den Maßnahmenvollzug im Fokus. Das Projekt wurde kofinanziert durch das Justizprogramm der Europäischen Union und den Zukunftsfonds der Republik Österreich sowie auf nationaler Ebene durch das Bundesministerium für Justiz und das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz der Republik Österreich.

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