Es gibt viele negative Beispiele von Einweisungen in den zeitlich unbefristeten Maßnahmenvollzug. Aber es gibt, selten aber doch, auch positive Beispiele. Ein Bericht über eine dieser wenigen Ausnahmen.

Es ist ein Fall wie viele andere auch, der heute am Landesgericht für Strafsachen Wien unter dem Vorsitz von Richterin Eva Brandstetter verhandelt wurde. Der 43-jährige U. leidet seit 20 Jahren unter einer paranoiden Schizophrenie. Es gibt keinen durchgängigen Behandlungsverlauf, er setzt die Medikation immer wieder ab und nimmt auch noch Drogen zu sich. Zu sehr vielen Unterbringungen in der Psychiatrie hat das geführt. Nach kurzen Aufenthalten wurde er aber immer wieder relativ schnell entlassen. Laut dem Gutachter Peter Hofmann ein Beispiel für die „Drehtür-Psychiatrie“.

Der letzte Polizeieinsatz bei U. nahm aber einen ungewohnten Verlauf. Eine Angehörige von U ruft die Polizei, da er laut herumschreiend umherläuft und dabei wild gestikuliert. Ein Einsatzwagen der Polizei fährt aus und, da U. kein Unbekannter ist, geht man auch hier davon aus, dass es ein Einsatz wird wie so oft zuvor: U. beruhigt sich wieder, raucht eine Zigarette und wird dann von der Rettung in die Psychiatrie ins Krankenhaus zur Aufnahme nach dem Unterbringungsgesetz gebracht. Doch diesmal ist etwas anders. Ein Polizist der U. noch nicht kennt, legt, aus Vorsicht und Eigenschutz, seine Hand auf die Dienstwaffe als U. immer wieder in seine Hosentasche greift. Er ist nicht ansprechbar und schreit weiter unverständliches. Doch als U. wahrnimmt, dass der Polizist die Hand auf der Pistole hat, rennt er auf ihn zu, schreit „Nicht die Waffe!“ und erhebt seine Fäuste. Der überraschte Polizist kann den Angriff abwenden, U. bleibt aber aggressiv. Ein wildes Gerangel folgt. Am Ende sind beide Polizisten verletzt, U. am Boden fixiert mit Fuß- und Handfesseln. Es folgt der Transport ins Krankenhaus. Dort wird er stationär über vier Monate verbringen, bis er im Juni in die JA Josefstadt gebracht wird.

In der Zwischenzeit hatte der Gerichtspsychiater Peter Hofmann sein Gutachten erstellt und kommt zu dem Schluss, das U. die Voraussetzungen zur Einweisung in den Maßnahmenvollzug gem. § 21 Abs 1 StGB erfüllt. Er sei zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig gewesen und durch die nicht erfolgte konsequente Behandlung geht von ihm eine hohe Gefährlichkeit aus. Im Einweisungsantrag der Staatsanwaltschaft wird ihm Widerstand gegen die Staatsgewalt und schwere Körperverletzung vorgehalten. Wann immer ein Polizist in Ausübung seiner Tätigkeit verletzt wird, ist es eine schwere Körperverletzung.

Was macht diesen Fall also so besonders? Solche oder ähnliche Fälle sind an der Tagesordnung, wenn es um Einweisungen in den Maßnahmenvollzug handelt. Es wurde in diesem Fall sehr viel Aufwand betrieben um U. eine unbedingte Einweisung zu ersparen. Einerseits ist er krankheitseinsichtig und hat, während seines Aufenthalts in der psychiatrischen Krankenabteilung der JA Josefstadt, einer Depotmedikation zugestimmt. So hat sich sein Zustand auch langsam verbessert. Sowohl die Sozialarbeiterin, als auch das psychiatrische Fachteam der Krankenabteilung hat auch, im Auftrag von Richterin Brandstetter, die Möglichkeiten einer ambulanten Betreuung eingehend geprüft.

Dabei wurde vom Verein LOK, der U. schon seit Jahren in wechselnden Settings betreut, ein individueller und passender Wohn- und Betreuungsplatz geschaffen. Forensis, ein therapeutisches Kompetenzzentrum hat eine Therapie- und psychiatrische Behandlungszusage ausgestellt. Zu guter Letzt hat auch das Landeskrankenhaus für die Übergangszeit von wenigen Tagen bis zur Fertigstellung des Wohn- und Betreuungsplatzes bei LOK einer stationären Aufnahme von U. zugestimmt. Es haben sich also, und das ist unüblich, auch Akteure außerhalb das Justizbereichs eingebracht und konstruktiv nach einer Lösung gesucht. Das Krankenhaus, das durch das Land finanziert wird, hilft mit. Ebenso LOK, die hauptsächlich Menschen mit psychischen Erkrankungen ohne forensischen Kontext betreuen und dabei auch vom Land bzw. vom Fonds Soziales Wien (FSW) finanziert werden.

So kam es dann bei der Hauptverhandlung dazu, dass der psychiatrische Sachverständige sein Gutachten prinzipiell aufrecht hielt, aber durch den vorliegenden Plan einer ambulanten Versorgung davon überzeugt war, dass dadurch die Gefährlichkeit auf ein Mindestmaß reduziert sei. Auch die Richter und die beiden Schöffen kamen dann im Urteil zum Schluss, dass ein vorläufiges Absehen vom Vollzug mit einer Reihe von sinnvollen Weisungen des Gerichts der richtige Weg ist. So muss und will U. bei LOK wohnen und betreut werden, sich psychiatrisch behandeln lassen, Drogen- und Medikamentenkontrollen durchführen lassen und bekommt einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt. Abgesehen davon, besteht durch das neue Gesetz seit kurzem die Möglichkeit der Krisenintervention, sollte U. den Weisungen nicht nachkommen. Das führt dann zu einen, zeitlich begrenzten, aber schnell einsetzenden stationären Aufenthalt im Maßnahmenvollzug zur Anpassung und Einstellung.

Der Fall von U. zeigt, dass es möglich ist, die Einweisungen in den Maßnahmenvollzug zu reduzieren. Wenn alle an einem Strang ziehen, vernetzt sind und manchmal über den Tellerrand blicken, kann es funktionieren. Natürlich aber nur dann, wenn beim Betroffenen auch die notwendige Krankheits- und Behandlungseinsicht gegeben ist. Denn nur durch die Reform des Maßnahmenvollzugs alleine, werden es trotzdem mehr und mehr Einweisungen werden.

2 Replies to “Maßnahmenvollzug: so kann es auch gehen…”

  1. Gratuliere, hier haben Menschen menschlich gehandelt. Kann mir sehr gut vorstellen das dieses Urteil der Reform des Maßnahmenvollzug endlich den richtungsweisenden Schwung gibt. Ich wünsche allen Betroffenen, mir und der Gesellschaft mehr derartiger positiver Beispiele. Der Alte Weg Kranke Menschen unbefristet ohne Hoffnung, vorallem ohne kontinuierlicher therapeutischer Betreuung weg zu sperren, ist im 21 Jhd. einfach nicht mehr zu rechtfertigen.

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