Der Nationalrat sprach sich gestern mehrheitlich für die Einrichtung einer neuen Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei aus. Mit umfassenden polizeilichen Befugnissen ausgestattet, soll sie als eigene Organisationseinheit im zum Innenministerium gehörigen Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) angesiedelt werden.
Laut Regierungsvorlage werde sie damit bewusst „außerhalb der klassischen Hierarchie der Sicherheitsexekutive“ eingerichtet. SPÖ und NEOS sahen die Unabhängigkeit jedoch nicht ausreichend sichergestellt und setzten sich für eine Ansiedelung der Ermittlungsstelle gänzlich außerhalb des Innenressorts ein. Die Freiheitlichen bestritten grundsätzlich deren Sinnhaftigkeit und sprachen von einer „Diffamierungsstelle“.
Neben einer interdisziplinären und multiprofessionellen Besetzung der Ermittlungsstelle ist auch eine spezialisierte Ausbildung der Bediensteten vorgesehen. Zur Sicherstellung der gesetzmäßigen Aufgabenerfüllung soll außerdem ein unabhängiger und weisungsfreier Beirat beim BMI eingerichtet werden. Weisungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Ermittlungsstelle haben laut Regierungsvorlage nicht nur schriftlich und begründet zu erfolgen, sondern sind zudem dem einzurichtenden Beirat zu übermitteln. Zudem soll die Ermittlungsstelle künftig auch bundesweit für kriminalpolizeiliche Ermittlungen bei der Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt mit Todesfolge und lebensgefährdendem Waffengebrauch zuständig sein.
Plenardebatte über die Unabhängigkeit der Ermittlungsstelle
Die Exekutive trage wesentlich zum Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung bei, erklärte SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz im Plenum. Dennoch dürfe nicht verschwiegen werden, dass es auch in den Reihen der Polizei zu Fällen von Diskriminierung oder Misshandlungen komme. Ohne einen Generalverdacht aufzustellen, müsse jedem dieser Fälle nachgegangen werden, da diese auch dem generellen Ruf der Polizei schaden würden, so Schatz. Es dürfe bei Misshandlungsfällen nicht der Eindruck entstehen, dass keine Konsequenzen folgten. Trotzdem werde ihre Fraktion der Einrichtung der Ermittlungsstelle nicht zustimmen, da durch deren Ansiedelung im Innenministerium keine Unabhängigkeit gewährleistet werden könne. Dietmar Keck (SPÖ) ging auf die Gefahren durch Vorverurteilungen für PolizistInnen ein, wenn Vorwürfe nicht konsequent aufgeklärt würden.
Auch Stephanie Krisper von den NEOS plädierte für Klarheit bei Misshandlungsfällen, die sowohl den Betroffenen als auch den „redlichen Polizeibeamt:innen“ zugutekäme. Sie war ebenfalls der Meinung, dass diese Klarheit jedoch durch eine Ermittlungsstelle innerhalb des Innenressorts nicht sichergestellt werden könne. Die ÖVP habe seit vielen Jahren „die Hand am Innenministerium“, führte Krisper aus und sprach von „systematischer Postenkorruption“. Ihrer Wahrnehmung nach, wäre die SPÖ durchaus offen für eine Zweidrittelmehrheit gewesen, die es für eine Verfassungsänderung zu einer anderweitigen Ansiedelung der Ermittlungsstelle gebraucht hätte. Die Entwicklung der Stelle würden NEOS nun „mit Argusaugen“ beobachten.
Wolfgang Gerstl (ÖVP) ging auf die Schwierigkeit des Polizeiberufs ein und verwies auf den hohen Vertrauenswert, den die Exekutive in der Bevölkerung genieße. Der Einsatz von Befehls- und Zwangsgewalt dürfe daher niemals willkürlich ausgeführt werden und müsse immer nur das letzte Mittel darstellen. Im Jahr 2022 hat es in Österreich laut Gerstl über 23.000 solcher Zwangsmittelanwendungen gegeben und lediglich 322 Verdachtsmomente bezüglich überzogener Polizeigewalt. Demgegenüber stünden dreimal so viele Polizist:innen, die in Ausübung ihres Dienstes verletzt worden seien.
Die vorgesehene Ermittlungsstelle sei besonders für zu Unrecht beschuldigte Polizist:innen wichtig, meinte Georg Bürstmayr von den Grünen. Er zeigte sich zufrieden über den „Kulturwandel“ in der Polizei, den unter anderem die Multiprofessionalität der Stelle mit sich bringen könne. Diese ermögliche es, ein möglichst „vollständiges Bild aus verschiedenen Blickwinkeln“ zu generieren. Bürstmayr ließ auch keine Zweifel an der Unabhängigkeit der Ermittlungsstelle gelten, da dafür „nicht deren Adresse“, sondern die strikte Trennung von der Polizei ausschlaggebend sei – und diese werde noch mit anderen „Feuermauern“ wie dem Beirat abgesichert. Dieser werde nach der Begutachtungsphase nun zu 100 % zivilgesellschaftlich beschickt und nicht mit Mitgliedern eines Ministeriums.
Gänzlich gegen die Ermittlungsstelle wandte sich die FPÖ. So sprach ihr Mandatar Werner Herbert von einer „Diffamierungs- und Vernaderungsstelle“, durch die die Arbeit der Polizei „mit den Füßen getreten“ werde. Besonders stieß er sich daran, dass sie auch mit Vertreter:innen jener NGOs besetzt werden solle, die aus seiner Sicht gemeinsam mit den Grünen, keine Gelegenheit ausließen, um die Exekutive „in ein schlechtes Licht zu rücken“. Zudem gebe es bereits ohnehin unabhängige Disziplinarbehörden, die Volksanwaltschaft oder Gerichte, die sich Misshandlungsfällen annehmen würden, so Herbert. Sein Fraktionskollege Christian Ries betonte, dass der Polizeidienst speziell im urbanen Raum einem „Ritt auf der Rasierklinge“ gleiche, da das Verhalten mancher Bevölkerungsgruppen der Exekutive gegenüber immer aggressiver werde. Daher sei eine solche Stelle, die praktisch einen „wortlosen Generalverdacht“ darstelle, gerade hinsichtlich sinkender Anwärterzahlen für die Polizei kontraproduktiv, erklärte Ries.
Innenminister Gerhard Karner dankte allen PolizistInnen für ihre herausfordernde Arbeit „in einem sensiblen Spannungsfeld“, das sich etwa bei den COVID-19-Demonsrationen oder den Aktionen der „Klimakleber“ auftue. Auch er pochte auf die Unabhängigkeit der neuen Stelle, die sich klar außerhalb polizeilicher Strukturen befinden werde. Den Bedenken der FPÖ hielt er entgegen, dass es auch angesichts der Einführung der Body-Cams ähnliche Kritikpunkte gegeben habe. In Folge habe sich jedoch herausgestellt, dass diese den PolizistInnen letztendlich mehr genutzt als geschadet hätten, so Karner.